Alessandro Romanini - Mann 2018

BEFRAGE DEN STAUB DER ZEIT

ALESSANDRO ROMANINI

»Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche.« Gustav Mahler

»Das wache Leben verlangt nach Gegnern. Wenn das Sein erwacht, steckt es schon in den Bildern der festen Materie, mit denen die starken Freuden beginnen. Angesichts des Widerstands der Materie verbindet sich das Leben der Nerven mit dem der Muskel.« Gaston Bachelard

Mit dieser Ausstellung bringt Aron Demetz die beiden Instanzen in Synergie, die seine künstlerische Entwicklung seit seiner Akademiezeit geprägt und in seinem Schaffen als Bildhauer einen beständigen Dialog geführt haben: eine genaue Betrachtung der klassischen Kunst und die Erfahrung des plastischen Materials.

Ein Künstler, der sich anschickt, die im Archäologischen Nationalmuseum in Neapel (MANN) aufgestellten Skulpturen zu betrachten und zu begreifen, sieht sich mit einer zweifachen Empfindung konfrontiert. Die Betrachtung jener Werke durchdringt ihn und lässt ihn frösteln, denn hier nehmen nicht nur die gesamte Geschichte, sondern auch alle ästhetischen, technischen und ethischen Formen der Kunst ihren Anfang. »Alle Künstler«, so Aron Demetz, »spüren, dass sie von diesen Werken herstammen.« Die erste Empfindung entspricht dem Gefühl der Annäherung an den Ursprung der Kunst, das den Künstler dazu treibt, die Spuren der kulturellen Vergangenheit, besonders aber der künstlerischen Form zu untersuchen. Sie ist verbunden mit demütiger Furcht, die sich der respektvollen Erkundung und Betrachtung der Zeugnisse unserer Vergangenheit beigesellt, wie sie seit Jahrhunderten in unserer Kultur, unseren Institutionen, besonders aber in den Werken der plastischen Kunst erkennbar sind.

Die gemeinsame Wurzel abendländischer Kunst und Kultur ist der Ursprung von Prinzipien und Dynamiken, die, offen oder im Verborgenen, durch die Kunst und die Künstler überliefert und anverwandelt wurden. Diese gemeinsame Wurzel liegt in der Verschmelzung der aufmerksamen und mitfühlenden Betrachtung durch den Künstler, jener sinnlichen Erfahrung, die Winckelmann dem Laokoon zuschreibt, mit jener, die Lessing meint, wenn er nach »ursprünglichen« Bildern in Kunst und Dichtung strebt, – ursprüngliche Bilder, Archetypen der Poesie und Kunst, die der Künstler in Form und Material zu erreichen sucht. Auf dieser Wurzel fußt zudem ein Begriff der Geschichte als ununterbrochene Folge von Ereignissen, deren Resultat die Gegenwart ist, im philosophischen wie plastisch-künstlerischen Sinne. Um mit Gustav Mahler zu sprechen: »Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche.«

Für den Großteil aller Künstler, darunter auch Aron Demetz, ist die antike Kunst nicht lediglich ein Repertoire exemplarischer Vorbilder, sondern eine Haltung und weit mehr als eine Ästhetik, die sich auf unerschöpfliche Weise fortwährend manifestiert und als deren Hüter und Förderer der Künstler zu handeln berufen ist. Der Künstler ist fasziniert von der Gestalt, die jede einzelne Epoche dem Begriff des Klassischen verleiht. Jede Epoche nämlich formt eine eigene Vorstellung von dem, was klassisch ist, um sich eine eigene Identität zu geben. Daher betrifft der Begriff des »Klassischen« nicht allein die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart und folglich auch die Idee von der und über die Zukunft. Es gilt, die innerste Botschaft des Klassischen zu begreifen – in einem nicht oberflächlichen oder rein formalen Sinne – und ihm Dauer zu verleihen, indem die Instanzen des je Subjektiven zugleich mit den Sprachformen des Zeitgenössischen in ein synergetisches Zusammenwirken gebracht werden. Der Künstler spürt die Verantwortung, diese Tradition fortzusetzen. Eine Haltung, die dem entspricht, was Novalis meint,

wenn er sagt: »Die Antike ist uns eigentlich nicht gegeben – sie ist nicht vorhanden – sondern sie soll von uns erst hervorgebracht werden.«

Das »Klassische« ist keine diachron-historische Instanz, sondern eine bestimmte Haltung auf der Suche nach einer eigenen Sprache und einer eigenen Ordnung. Sie kann auch als Unordnung erscheinen, ist aber dennoch strukturiert in einer Form, die in den mit ihnen verbundenen technischen und formalen Möglichkeiten vermittelt und entworfen wird. Für gewöhnlich wird das »Klassische« als das angesehen, das zuerst da war, als das Ursprüngliche und Vorbildliche, als das, worauf sich dann durch die Jahrhunderte hindurch die Wellen des Klassizismus beziehen. Aron Demetz steht dem Denken Paul Valérys näher, der in seinen Varietés von 1944 schreibt: »Das Wesen des Klassizismus besteht darin, auf etwas zu folgen. Ordnung setzt eine gewisse Unordnung voraus, die der Klassizismus beseitigen will.« Ein zweites zentrales Element der Position des Künstlers ließe sich als »Materialempfinden« definieren. Es lässt den Künstler das gesamte Potenzial der Materialien erfahren und vor allem an letztere Instanzen der Urheberschaft delegieren.

Zu diesen Grundüberlegungen sollen zwei Anmerkungen oder besser Fragestellungen des Künstlers treten, die aus dessen wiederholten Besuchen der Sammlungen des MANN hervorgegangen sind und zu seiner künstlerischen Reflexion im Dienste der Entstehung der eigens für diese Ausstellung geschaffenen Arbeiten beigetragen haben. Die erste Fragestellung hängt mit dem Begriff des »Meisterwerks« zusammen. Dieser stellt ein Werk auf ein Podest, erhebt es in einen überzeitlichen Rang und versetzt es in die Dimension eines angeblich Universalen. Dadurch wirkt er abschreckend, vereitelt somit die Befragung des Werkes und nimmt diesem die Möglichkeit, fruchtbar auf kommende Künstlergenerationen zu wirken. Eine zweite Fragestellung ergibt sich von selbst: Welchen Sinn hat es, unter den gegenwärtigen historischen Bedingungen nach »gemeinsamen« Wurzeln zu suchen, wo doch die verbreitete Tendenz darin besteht, die eigenen Wurzeln von denen der uns umgebenden möglichst abzugrenzen?

Die grundlegende Reflexion des Künstlers gilt der Materie, die seit Langem im Mittelpunkt seiner Arbeit steht. Die Materie, allen voran der Marmor, ist Vehikel und Träger von Geschichte und »klassischen« Werten, aber sie ist auch eine Triebfeder, die den Schaffensprozess des Künstlers lenkt. Das Material wird durch die – im weitesten Sinne des Begriffs – klassische Kultur stärker geprägt und konnotiert als durch die Hand und den Stil des Künstlers. Es sind die im Material verborgenen Konnotationen und historischen Dimensionen, mit denen sich der Künstler auseinandersetzen muss. Hinzu kommt die Dimension, die mit der »Herkunft« des Materials verbunden ist. Wie im Fall von Holz ist sie es, die den Konnotationsspielraum und den Überlieferungshintergrund des mit seiner Bearbeitung verknüpften Wissens erweitert.

Schon Charles Baudelaire stellte anlässlich des Salons von 1846 fest, die Bildhauerei sei »langweilig«, weil an eine materielle Vergangenheit gebunden, derart titanisch groß, dass diese sie zwischen den Stilen und aus der Mode gekommenen Gattungen der Vergangenheit zur Unbeweglichkeit verdamme. Die Bildhauerei galt Baudelaire als Gattung für Barbaren und Primitive, als »Kunst der Karibik«, wie er sie zu einer Zeit nannte, da auf den karibischen Inseln ausschließlich Indigene lebten, aufgrund der Ahnung eines Vorzeitlichen und Ursprünglichen, mehr noch, eines inneren Widerwillens, die den Bildhauer Schwierigkeiten eher durch Taten denn durch Gedanken begegnen lasse. Die innere Natur des Tuns und der Materie prägen den Begriff einer Kunstgattung und das um diese kreisende Wissen. Die Überlieferung von Kenntnissen, die von der Seite des Technischen auf die des Sozio-Anthropologischen wechseln – Handwerker, Techniker, Künstler und Gemeinschaften prägend, die von diesem Komplex theoretisch- praktischen Wissens geformt werden –, übersetzt die Idee in eine Ästhetik, die zugleich eine Ethik ist. Der homo faber, wie ihn Richard Sennett und vor ihm Hannah Arendt beschrieben haben, stellt sich – im Unterschied zum
animal laborans – im produktiven Prozess nicht nur die Frage nach dem »Wie?«, sondern auch die nach dem »Warum?« und bringt auf diese Weise die fundamentale strukturgebende ethische Komponente in den Schaffensprozess ein. Diese nährt sich aus der Stratifikation des durch die unerschöpfliche Erfahrung akkumulierten Wissens in der Einheit von Abstraktion und Praxis, Hirn und Hand.

Im Verlauf des Schaffensprozesses gelangt der Künstler fortwährend zu einer Selbstbefragung hinsichtlich der Rolle, die er unter den gegebenen historischen Bedingungen einnimmt, insbesondere im Lichte der Dialektik von Abstraktion und Produktion, Imagination und handwerklichem Tun. Dank des einmaligen Skulpturenbestandes des Archäologischen Nationalmuseums vermag Aron Demetz, jene diachron-historische Dimension neu zu beleben, die im Künstler den »Handwerker« sah, denjenigen, der in homerischer und archaischer Zeit, den Ton modellierend oder das Metall schmiedend, schöpferisch tätig war und der Gemeinschaft, der er angehörte, seine Fähigkeiten anbot. Dieses Bild des Künstlers verwandelte sich in der Epoche eines Aristoteles und Aristophanes in die Vorstellung eines seiner gesellschaftlichen Würde beraubten Individuums. Das Bild des Künstlers erfährt eine Wiederaufwertung

durch die Encyclopédie der französischen Aufklärer, die dem homo faber jene Würde zurückgeben, die er im archaischen Griechenland genoss. In der Zeit der Romantik dann wird sie der Dialektik einer Entgegensetzung von Handwerker und Künstler unterworfen – eine Unterscheidung, die das kollektive Subjekt, das sein formgewordenes Wissen tradiert, einem Individuum gegenüberstellt, das ein künstlerisches Produkt erschafft und bestimmt. In dieser speziellen Vorstellung erschwert die Originalität des Künstlers eine Weitergabe seines Wissens, und es wird auf geheimnisvolle Weise erworben.

Für Aron Demetz stellt das Material ein unendliches Reservoir kreativer Möglichkeiten dar. Viele davon sind durch das Material selbst vorgegeben, durch seine chemisch-physikalischen und unmittelbar wahrnehmbaren
Eigenschaften. Für den Künstler ist der Umsetzungsprozess nicht weniger wichtig und zuweilen sogar entscheidender als das Endprodukt. Künstlerisches Tun verschmilzt mithin in einem synergetischen Vorgang. Die künstlerische Arbeit verflicht die Elemente von Zeit – den Entwurfs- und Umsetzungsprozess mit seiner gesamten aleatorischen Dimension – und Raum – die strukturelle Syntax der Plastik, sie verbindet imaginative Abstraktion und operative Konkretheit. Dieser Vorgang verläuft in Probe und Versuch. Ein aleatorischer Prozess auf dem Gebiet des Stofflichen, gezeichnet von Unvorhersehbarkeit und Zufall, Scheitern, Korrektur, Neukomposition und Treue zur Ausgangsidee, vorangetrieben in der Formbarkeit der Vorstellung, geformt am Prüfstein des Materials. Es handelt sich um ein »learning by doing«, aus dem sich vieles lernen lässt, vorausgesetzt, der Künstler ist bereit, die Weisungen, die ihm das Material gibt, anzunehmen und ihnen zu folgen, vor allem aber ist er in der Lage, dem Material schon im Entwurfsstadium einen diesem allein vorbehaltenen Status als »Urheber« einzuräumen.

Mit Bezug auf so erworbenes Wissen spricht der Spezialist für Kinderheilkunde Luigi Peyron von einer »Formativität des Machens, die, während sie macht, die Weise des Machens erfindet«. Material und Werkzeug sind die Verlängerung der Hand und der Imagination des Künstlers. Je vollkommener Werkzeug, Hand und Hirn synergetisch verschmelzen, zu einem einzigen Mittel werden und das gemeinsame Tun vorantreiben, desto stärker werden Prozess und Produkt als gut wahrgenommen. Auch Le Corbusier und Amedée Ozenfant, die Begründer des Purismus, folgten diesem Grundsatz in ihrer Theorie vom mechanischen Ursprung des plastischen Empfindens. Mit seinem Streben nach Synergie von Hirn und Hand findet Aron Demetz einen weiteren Verbündeten in Leon Battista Alberti, der im Vorwort zu seiner Schrift Über die Baukunst ins Feld führt, die Aufgabe des Baumeisters und damit jedes Kreativen bestehe darin, sowohl Entwurf als auch Ausführung durch Einsicht und methodisches Vorgehen zu beherrschen. Der Philosoph Francis Bacon schreibt im dritten Aphorismus seiner Instauratio Magna von 1620, Verstand, Schöpferkraft und Hand müssten zusammenwirken, solle durch kundige Bearbeitung der Materialien eine Sache zustande gebracht und auf diese Weise in ein Kunstwerk verwandelt werden. Zu nennen ist hier auch Henri Focillon, der in seinem Essay Éloge de la main im Anschluss an seine Schrift Vie des formes entsprechende Überlegungen anstellt.

Aron Demetz nimmt hier eine »fernöstliche« Position ein – dem Westen durch die japanischen Gutai- Künstler vermittelt und von der Fluxusbewegung perfektioniert. Sie spricht der Realität in ihren verschiedenen Dimensionen eine kreative Rolle zu und lässt sie die schöpferische Verantwortung mit dem Künstler teilen. Es handelt sich um jene Verantwortlichkeit, die sich aus der genetischen Struktur des Ursprungsmaterials ergibt, wie sie sich in allen Phasen der Werkentstehung anreichert, indem die künstlerische Technik diesem ihre eigenen Regeln auferlegt und sich zugleich für den Dialog mit dem Material öffnet. Der Künstler nutzt seine strategische Begabung und vereint sie mit jener eines Regisseurs, der die unterschiedlichen technisch-materialen Instanzen zur Deckung bringt. Gleichzeitig ist er bemüht, sie synergetisch mit der abstrakt-vorstellungshaften Komponente und seiner Rolle als Zeremonienmeister jener komplexen Riten, die über den Dialog zwischen Materie und Schöpfung walten, zu verbinden. Mit der selbstgewissen Weisheit und der geschmeidigen Führungsgabe eines Dirigenten meistert er nicht nur die widerspenstigsten technischen Verfahren, sondern auch die ihrem eigenen Rhythmus folgende, unbeugsame Unvorhersehbarkeit des Materials, deren Fluss er sich im Spielraum eines schöpferischen Sammelbeckens anzupassen versteht.

Aron Demetz folgt dem Denken Gaston Bachelards, der das Kunstwerk als aus der Begegnung der Vorstellungskraft des Künstlers mit dem aller Materie innewohnenden, ureigenen Imaginativen entstehend sieht, strukturiert von den Kategorien des Weichen und des Harten sowie den generativen Metaphern des Konkaven und des Konvexen. Kreativität ist Vorstellung, die zur Form wird durch die mühselige Entgegensetzung der Energien von homo faber und Materie im Takt einer Dialektik von Anziehung und Abstoßung. Kreativität ist das Aufeinandertreffen der organischen Energie der Hand und ihrer Ausläufer mit der nichtorganischen Energie der Materie im gemeinsamen Kampf gegen die lastende Trägheit der Entropie und der Gleichgültigkeit. Aus dieser Dialektik, aus diesem unablässigen Ringen entspringt das Kunstwerk, aus ihr heraus übersetzt sich Vorstellung in Materie. Und aus diesem Grund belässt Aron Demetz in seinen

Arbeiten oft sichtbare Spuren ästhetisch-plastischer Form, als Markierung der verschiedenen Phasen des Entstehungsprozesses. Auch wo er sich für die installative Form entscheidet, reichert er diese mit den Spuren des Prozesses an, welcher zum künstlerischen Ergebnis geführt hat. Er streut Grundelemente seines plastischen Vokabulars aus, das sich zur Syntax seiner Ausdrucksformen konfiguriert.

Auf metaphorische Weise verarbeiten Demetz’ Werke die Vorgänge, die notwendig sind, um eine Vorstellung in eine Form zu übersetzen, Abstraktion in kulturelle Materie, bis hin zu einer »Ästhetisierung« der technischen Instanzen, die aus ihrer funktionalen Dimension in jene einer Sprachform des Plastischen transponiert werden, wie etwa Schmelztiegel und Gusskanäle. Diese Elemente sind für seine künstlerische Arbeit und Produktion zentral, vor allem aber sind sie Motor und Schwerpunkt einer metasprachlichen Reflexion, wie er sie seit vielen Jahren betreibt. Aron Demetz’ Arbeit beinhaltet eine Dynamik des Lernens und Wissens, befördert von der Dialektik Hand –
Hirn, Abstraktion – Handarbeit, Rolle des Künstlers im zeitgenössischen historischen Kontext – Offenlegung künstlerischer Praktiken zwecks Befreiung von der Eigengesetzlichkeit des Fiktiven, welche mit der um sich greifenden Aufweichung des Verhältnisses zur konkreten Wirklichkeit einhergeht. Es ist die Materie, welche Materie hervorbringt, es sind Formen, die neue Formen inspirieren und produzieren, Material, das Sorge trägt für anderes Material, wie im Falle von Naturharzen, die eine Holzfigur auf die gleiche Weise schützen wie den Baumstamm in der Natur. Eine Epistemologie des Materialen in nuce.

Die Haltung, die das Wirken des Künstlers bestimmt, geht auf diejenige der Werke aus der »klassischen« Zeit zurück; es ist eine Art Ringen gegen die fortschreitende, unaufhaltsame Entmaterialisierung des Arbeitsprozesses
und der Materie zugunsten einer Metaphorik des Elektronischen und Digitalen. Gegen die Abwanderung der Kreativität aus der stofflichen Dichte des Realen in die Flüchtigkeit der medialen Bilderwelten. Dabei geht es nicht um ein Rückzugsgefecht des »materiellen« Schöpfungsaktes oder des damit verbundenen Handwerklichen, sondern um die Wertschätzung der Verbundenheit von Kopf und Hand, Abstraktion und Produktion mit all den unvermeidlichen Prozeduren und Hindernissen, einer Verbundenheit, ohne die es keinen Erfahrungsschatz geben kann und damit auch kein Wissen. Es ist kein nostalgischer Aufschrei des Künstlers gegen die Diffusion moderner Kommunikationstechnologie, sondern ein skeptischer Blick auf deren zunehmende Allgegenwärtigkeit, welche zu einer Auslöschung der Arbeit in ihrer physischen ebenso wie ihrer intellektuellen Dimension zu führen droht.

Blickt man auf den Werkkomplex, den Aron Demetz im Verlauf von über zwei Jahrzehnten geschaffen hat, und auf die künstlerische Entwicklung des 1972 Geborenen, wirft dies auch einen Licht auf den Aufbau dieser Ausstellung. Aron Demetz hat einen Prozess der Selbstreflexion der Plastik initiiert, der eine Brücke schlägt zwischen Klassik und Gegenwart, von der griechisch-römischen Antike und ihren Jüngern, wie Michelangelo, Canova oder Bernini, bis hin zu Strömungen, wie sie Medardo Rosso repräsentiert. Unter dem Vorzeichen des Materials setzt er höchste ästhetische Reinheit und die Auflösung der Materie in einen Dialog und verknüpft künstlerische Idee und technische Umsetzung symmetrisch miteinander. In seinen Werken macht er die Aneignung jener Konzepte plastisch erfahrbar, die zum Verlust der Einheit des Bildgegenstandes und der affirmativen Funktion der Kunst geführt haben, ohne dabei die Sakralität des Gestaltungsprozesses aufzugeben.

Aron Demetz ist mit den Poetiken des Gegenständlichen bestens vertraut (darunter Minimalismus und Arte Povera einerseits und das konzeptuelle Paradoxon, in das die Bildhauerei durch sie geraten ist, andererseits) ebenso wie mit der Wesensbestimmung der Skulptur als Sprache, wie sie Arturo Martini in seinen Texten über den Tod der Bildhauerei 1946 formuliert hat. Um mit Bachelard zu sprechen, besteht die Gefahr darin, dass der Mensch/Künstler zum »einfachen Philosophen im Angesicht des Universums« wird, aller Beharrlichkeit »wider das Wesen der Dinge« seiner Welt beraubt, jedoch ohne den Halt seiner identitätsstiftenden Rolle als Spezies und kreatives Individuum. Für den Künstler kann es hinsichtlich der abstrakten Verarbeitung kein Weiterkommen geben ohne die aus Erfahrung erwachsene Kenntnis der Widerstände, die Material und Technik ihm entgegensetzen. Die Idee, der Entwurf entsteht aus der intimen Vertrautheit mit dem Material und einem damit einhergehenden breit gefächerten Repertoire technisch- formaler Möglichkeiten. Auch wenn das Endprodukt auf paradoxe Weise von der Struktur des Materials abweicht, bleibt dies die Überzeugung des Künstlers, und er übersetzt sie auf vollkommene Weise in seine Arbeiten.

Aron Demetz, dies zeigt auch eine diachrone Betrachtung seines Werks, verbindet die Grundeigenschaften der Skulptur – Schwere, Gewicht, Ausgreifen in Dreidimensionalität und Form – mit einer Ausweitung der plastischen Syntax und bereichert sie dabei um »Phoneme«, welche sie, besonders in der installativen Dimension, zu einer fruchtbaren Abweichung hin zu in diesem Zusammenhang fremden Substantiven wie Bewegung und Zeit-Dauer führen. In seiner jüngsten Produktion, die nachhaltig von der »metalinguistischen« Reflexion über sein Tun als Bildhauer profitiert, lassen sich deutlich Widerhall und Widerschein des Informel ausmachen – gefolgt von Ausflügen in Minimalismus und Konzeptkunst –, die in

der Aktualisierung der Plastik als performativer und prozesshaft-operativer Akt aufscheinen, einer Aktualisierung, die sich bereits in der Verwendung »verbrannter« Figuren andeutet, den ersten Versuchen in dieser Richtung folgend, wie sie bereits der Bildhauer Agenore Fabbri unternommen hatte. Die Zeit-Dauer von Aron Demetz ist stärker mit dem Begriff der Erinnerung verbunden als mit dem der Performativität. Die menschliche Figur, Leitmotiv seiner Kunst und Frucht seiner plastischen Arbeit, entfernt sich immer stärker von ihren Wurzeln in der Darstellung des Motivs und richtet sich auf das thematische Objekt und dessen Erinnerungsecho.

Die menschliche Figur ist das Element, das in der Jahrtausende umspannenden Geschichte der Kunst zum Träger ethischer ebenso wie ästhetischer Werte geworden ist, zu einem Maßstab, dessen Skala nicht selten bis zur Nullgradmarke ausgeschöpft wird, bis hin zur völligen Auslöschung, bis zum Verschwinden, um periodisch wiederaufzutauchen aus den Wellen der Zeit in widriger Bewegung. Für Aron Demetz ist die Figur die Grundlage seiner künstlerischen Arbeit, aber auch Instrument zur Vermessung des Raums und Antrieb zur Aufschließung der Raumformen, welche die Figur in sich aufnehmen. Sie ist das Sinnbild des Lebens, der Erfahrung und mithin der Schichtungen des Erinnerns, und in letzter Konsequenz Gefäß des Wissens. Die Figuren der plastischen Kunst erinnern an nichts Reales, sie haben keinen Bezugspunkt in der physischen Wirklichkeit, keinen Indikator eines mimetischen Reproduktionsprozesses, sie verweisen vielmehr auf die subjektive Erfahrung eines bestimmten Körpers. Dieser hinterlässt »forensische« Spuren, »Index-Zeichen« im semiotischen Sinne, Hinweise auf ein Geschehen. Aron Demetz’ Figuren haben etwas unbestimmt Hieratisches, Totemisches – tragen dabei aber nicht den Charakter eines Symbols oder einer bildlichen Repräsentation, vielmehr den eines leeren Raums, eines Schattens. Er lädt den »aktiven« Betrachter zu einer Erfahrung aus erster Hand ein, zu einer ursprünglichen, subjektiven, greifbaren Erfahrung, die er auf das Werk selbst projizieren kann: die Rückkehr einer ursprünglichen Erfahrung der Skulptur als Körper, den der Betrachter im Raum »verortet«. In der künstlerischen Poetik von Aron Demetz spielt die Plastik nicht die Rolle eines isolierten Objekts im Sinne des Minimalismus, sondern die eines Katalysators, mit dessen Hilfe der teilnehmende Betrachter eine eigene, selbstreflexive Erzählung entwickelt, der ihn »zwingt«, angesichts der räumlichen Kontextualisierung einen unvertrauten Wahrnehmungsprozess zu initiieren.

Die in dieser Ausstellung von Aron Demetz angelegte Operation ist eine zweifache, denn sie bringt den Betrachter dazu, sich Festlegungen zu entziehen und einem eigenen, subjektiven Wahrnehmungsparcours inmitten der zeitgenössischen und der antiken Werke zu folgen und dabei in ein dialektisches Verweisspiel der Formen und Zeiten einzutreten. In der Anordnung der Werke, nicht allein also in den einzelnen gezeigten Arbeiten, verdeutlicht der Künstler seine Gedanken über das Verhältnis zwischen Körper und Raum. Indem er die Ausstellung entsprechend einem Rhythmus von zeitgenössischen und klassischen Werken, historischer Konnotation der Architektur und dem Gesamtumfeld aufbaut, will er den Besucher aus der »Knechtschaft des rechten Winkels« befreien, durch die das zeitgenössische Individuum aus der Dimension des Natürlichen und der subjektiven Wahrnehmung verbannt ist und stattdessen »eingefasst« von der Architektur. Die Installationen von Aron Demetz wollen, nicht anders als die hier versammelten Werke in ihrer Gesamtheit, den Raum »erfahrbar« machen, die Bedeutung des sogenannten Kontexts für die Ausdrucksqualität des Raums. Die Skulpturen selbst treten mit der Syntax des Raums in einen Dialog, mit dem Licht und der gelebten Zeit der räumlichen Dimension, dem Genius Loci, sie bestätigen, dass die Kunst den Raum besiedelt, die Welt verzehrt, sie machtvoll infiziert, sie unauslöschlich mit Bedeutung versieht.

Für Aron Demetz ist der Raum ebenso ein Ausgangsmaterial wie Holz oder Marmor, zugleich Erkenntnisgegenstand und Grundelement der Sinnkonstruktion. Der Raum – Struktur- und Ausdrucksmaterial der Skulptur – legt fest, was möglich ist und was nicht. In diesem Kontext ist der Raum für den Künstler nicht einfach das Sinnfällige, das, was man sehen und messen kann, sondern auch und vor allem das, was die historische und anthropologische Schichtung dieses besonderen Raums darstellt und ist. Den Raum zu erfassen, zu »ergreifen« – das ist es, was der Künstler vom Betrachter verlangt. Den Genius Loci zu erfassen, »dem Raum zu lauschen«, diese Arbeit ist notwendig, ethisch geboten, um die Erinnerung der Phänomene zu bewahren, aus denen die menschliche Erfahrung sich aufbaut. In diesem Sinne kommt dem Modell der klassischen Antike exemplarischer Wert zu. In seiner Arbeit gelingt es Aron Demetz, die Identifikation der Skulptur mit dem Material statt mit der Form, wie sie Arte Povera und Informel vorgenommen haben, mit dem Konzept der plastischen Kunst als Inkarnation einer Idee in Einklang zu bringen. Diese Grundkonzepte reichen bei ihm von der einzelnen Figur bis in den Bereich der Installation und Ausstellungsgestaltung, die in den Sälen des Archäologischen Nationalmuseums einen idealen Verwirklichungsraum finden.

Das Werk von Aron Demetz ist eng an die Konkretheit des physischen Materials gebunden, auch wenn dieses in erodierter, zerstückelter, verdünnter, verflüssigter oder anders veränderter Form sowie befreit von der mimetischen Repräsentation der Wirklichkeit und dem Figürlichen im weitesten Sinne verwendet wird.

Andererseits öffnet es sich in historisch-kultureller Dimension ebenso wie in den unbegrenzten syntaktischen Kontexten des Räumlichen – Installation, Design, Architektur – einer dialektisch- synergetischen Dynamik. Technik und Material, strukturiert durch die Idee des Künstlers, werden hier einem Spiel offener Beziehungen erschlossen, welche Faktoren berücksichtigen, die das Werk nicht festlegen, sondern als Propädeutik einer Ausweitung der Sprachformen fungieren. Hierzu zählen auch Raum und Betrachter. Letzterer wird, wie das Material, zum Miturheber, aufgerufen, mit dem Werk zu interagieren, sich von der Rolle eines passiven Beschauers zu lösen und durch seine subjektive Deutung jene induktiven Sinnimpulse zu vervollständigen, die dem Werk eingeschrieben sind.

Wie diese Ausstellung greifbar vor Augen führt, befördern Künstler wie Aron Demetz die Diskussion über die Bildhauerei und die künstlerische Wahrnehmung nachhaltig und räumen der plastischen Kunst wieder den ihr gebührenden Platz unter den Disziplinen des künstlerischen Ausdrucks ein. Das skulpturale Werk von Aron Demetz tritt in einen Dialog mit der Vergangenheit – ob antik oder modern – und gleichzeitig mit der Gegenwart. Sie tut dies in einem fortlaufenden Prozess der Ausdrucksformen und Bedeutungen, die je nach den Vorzeichen der Zeugnisse der Geschichte, individueller Mythologien, autonomer Praktiken und kollektiver Erinnerungen, biografischer Instanzen und universeller Dimensionen unterschiedlich sind.