PRACTICES FOR RESPONSIVENESS

 
 

Michele Bernardi,Viola Bittl,
Johannes Bosisio, Leonardo Silaghi,
Hugo Vallazza


Die Galleria Doris Ghetta freut sich, mit Practices For Responsiveness die erste Gruppenausstellung im Jahr 2021 zu eröffnen. Die Ausstellung erforscht die Beziehung zwischen den Künstlern und der Realität, die sie umgibt, mit besonderem Augenmerk auf ihrer Fähigkeit, auf die Belange der Zeit, in der sie leben, zu achten und zu reagieren. Gezeigt werden die Arbeiten von Michele Bernardi, Viola Bittl, Johannes Bosisio, Leonardo Silaghi und Hugo Vallazza, fünf Künstler aus verschiedenen Generationen und unterschiedlichen geografischen und kulturellen Kontexten. Sie reagieren auf die Reize der Außenwelt - sei sie physisch und materiell oder ein theoretischer Raum künstlerischer Repräsentation - mit je eigenen Praktiken, die auf ihrer je persönlichen inneren Landschaft beruhen. 

Die Werke des früh verstorbenen Künstlers Hugo Vallazza (St. Ulrich, Italien 1955- 1997) entstanden zwischen den 1970er und 1990er Jahren, den Jahren des wirtschaftlichen Wachstums und des extremen Konsumverhaltens. Er reagierte auf eine Vorstellung von Kunst als Marktware und als Konsumprodukt, und bekräftigte die Rolle der Kunst als eine Form des intellektuellen Widerstands, eine Kunst die sich weder ins Rampenlicht drängt noch sich dem Überfluss widmet. Angesichts einer Moderne, die Leere und Orientierungslosigkeit erzeugt, weigern sich Vallazzas monochrome Bilder, die geltenden Spielregeln zu akzeptieren, und beanspruchen ihr Recht, nicht übertrieben und aalglatt sondern unaufdringlich und ungeschliffen zu sein. Sie agieren als undurchschaubare Systeme, die nicht durchdacht und studiert, sondern instinktiv und intuitiv sind. Vallazzas Arbeit zeugt von einer nüchternen Vorstellung von Realität, die sich weigert, das idyllische Versprechen einer Zusammenführung der Gesellschaft mit der Natur anzuerkennen. Diese Haltung des Selbstmitleides angesichts der Lücke, die zwischen dem Menschen und dem Raum, in dem er lebt, entstanden ist, liegt ihm fern: im Gegenteil, er schlägt neue Sichtweisen vor, um besser zu verstehen, wer wir sind und wie wir diesen Raum bewohnen.

Johannes Bosisio (Bozen, Italien, 1994) wählt eine andere Herangehensweise an seine Gegenwart, eine, die von Faszination und Neugierde geprägt ist. Auf der Suche nach Formen der Interaktion zwischen Mensch und Maschine stößt Bosisio auf Altmetall und Karosserieteile, die er auf der Leinwand neu gestaltet und interpretiert. Stahl und Chrom sind in der Tat Materialien mit einer perfekten glatten, glänzenden Textur, die unsere Modernität in vollem Umfang verkörpern. Die Kombination, die durch die Interaktion zwischen Mensch und Maschine entsteht, erweckt Cyborgs zum Leben, Menschen mit gesteigerten körperlichen Fähigkeiten, die eine Symbiose mit ihren technologischen Ablegern eingehen, die wie Prothesen zu Erweiterungen ihres Körpers werden. Beeinflusst von den mechanischen, repetitiven Klängen elektronischer Musik und dystopischen Romanen, untersucht Bosisio Themen wie Konsumismus, Technologie und Maschinenfetischismus mit einem hyperrealistischen Stil voller grafischer Elemente.

Maschinen, Vögel und Eis sind nur einige der Motive, die in den jüngsten Arbeiten von Leonardo Silaghi (Satu-Mare, Rumänien, 1987) zu sehen sind. Diese Vielfalt an unterschiedlichen Themen spiegelt den Wunsch des Künstlers wider, sich dynamisch durch den Alltag zu bewegen. Doch es ist die Gedankenwelt hinter der konkreten Realität, die Silaghi besonders fasziniert. Seine Themen sind in erster Linie mentale Räume, Oberflächen, hinter denen sich Bedeutungen, Ideen und Gedanken schichten. In Cross beispielsweise wird das religiöse Element durch essentielle kompositorische Linien dargestellt und reflektiert die spirituelle und kontemplative Dimension des Objekts. Durch die performative Malerei versteht Silaghi die künstlerische Praxis als einen Lernprozess, in dem der Künstler durch den Akt des Malens lernt und neue Erkenntnis erlangt.

Die deutsche Künstlerin Viola Bittl (Eichstätt, Deutschland, 1980) arbeitet an den Ausdrucksmöglichkeiten der abstrakten Malerei, indem sie die Beziehungen zwischen Figur und Hintergrund im Bildraum untersucht. Besonders interessiert an den Ideen und der reduktiven Formensprache der modernen Kunst sowie an der Versinnlichung einfacher Formen durch die Malerei, verfolgt Bittl eine künstlerische Recherche, auf der Suche nach der grundlegenden Beziehung zwischen Oberfläche, Hintergrund und Gegenstand. So entstehen Figuren, die sich je nach Oberfläche verändern, und durch ein unterirdisches Beziehungsgeflecht gleichzeitig hervorgehoben wie auch verborgen werden. Das Ergebnis sind Figur-Grund-Bilder, in denen die Figuren teilweise verundeutlicht werden und dennoch omnipräsent bleiben. Ihre Aufgabe ist es nicht, Geschichten zu erzählen, vielmehr entstehen sie aus Ideen oder Gefühlen heraus, um zu Haltungen, Zuständen oder Bedingungen zu werden.

Während Vallazza und Bosisio sich direkt oder indirekt auf die Außenwelt beziehen, und Silaghi und Bittl die malerischen Werkzeuge untersuchen, anhand derer wir uns mit der Welt in Beziehung setzen, geht Michele Bernardi (Bozen, Italien, 1959) einen Schritt zurück und schaut auf den Betrachter und seine Möglichkeiten, die Welt zu sehen und zu denken. Er arbeitet vorwiegend mit dem Schweißeisen, und produziert so skulpturale Installationen, die direkt oder anhand ihrer Titel Worte darstellen. Diese verlassen so den mentalen Raum des Denkens, um den dreidimensionalen Raum zu besetzen. In seinem Bestreben, die komplexe Interaktion zwischen den Mechanismen des Sehens und des Denkens zu verstehen, sinniert der Künstler über den Vorrang der visuellen Wahrnehmung vor jener des sprachlichen Verstehens und der Ideen. Bernardi bringt ans Licht, was normalerweise weder sichtbar noch greifbar ist - Gedanken, Worte - um über die Art und Weise nachzudenken, wie wir die Welt wahrnehmen, denken und interpretieren.